AUSSTELLUNG: Vom 24. Februar bis 21. Mai 2023 zeigt das Kunsthaus Zürich den Schweizer Künstler Johann Heinrich Füssli (1741–1825) als intimen Zeichner. Füssli war einer der eigenwilligsten, originellsten und umstrittensten Künstler des achtzehnten Jahrhunderts in Europa.
Johann Heinrich Füssli: Erotische Zeichnung mit drei Frauen und einem liegenden Mann; um 1809/10. Victoria and Albert Museum; London. Given by Michael Sadleir; London. Foto: Victoria and Albert Museum; London.Fortschrittliches Frauenbild
Johann Heinrich Füssli: Halbfigur einer Kurtisane mit Federbusch, Schleife und Schleier im Haar, um 1800 –1810, Kunsthaus Zürich, Gottfried Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern, 1934.
Der betont individualistische und sensationslüsterne Charakter von Füsslis Kunst spaltete die öffentliche Meinung während seiner gesamten Karriere. Dem Kunstpublikum zu Zeiten Füsslis (1741–1825) dürfte kaum bekannt gewesen sein, dass sich dieser privat mit dem zeitgenössischen Frauenbild auseinandersetzte, eine Beschäftigung, der er ausschliesslich im Medium der Zeichnung nachging. Rund fünfzig dieser auffällig intimen Zeichnungen werden nun in einer Ausstellung erstmals zusammengeführt. Die dargestellten Frauen begegnen uns darin hocherotisiert, in modischer Aufmachung und mit Frisuren, die exzentrischer kaum sein könnten. Der Fokus auf Füsslis Faszination für die weibliche Sexualität und die moderne Frau, die hier als Figur des Geheimnisses und der gefährlichen Anziehungskraft auftritt, eröffnet zugleich einen allgemeineren Blick auf die Ängste des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts in Bezug auf Geschlecht, Identität und Sexualität.
Aufreizend und abgründig
Durch die Zusammenstellung von rund sechzig Werken bietet das Kunsthaus Zürich eine noch nie dagewesene Gelegenheit, den Zeichner Füssli in seiner innovativsten und aufregendsten Form zu erleben, als Autor einer faszinierenden Bilderwelt, die sich ebenso aufreizend wie abgründig ausnimmt.
Füsslis Bild der modernen Frau: Herausfordernd, selbstbewußt
Wo man idealisierte Körper in den anmutigen Posen und Proportionen antiker Statuen erwarten würde, begegnen uns stattdessen Frauen, deren Körper durch steife Mieder, Taillenbänder, gerüschte Ärmel und spitze Schuhe definiert und deren Köpfe von Frisuren der komplexesten und bizarrsten Art gekrönt werden. Füssli zeigt nicht die unterwürfigen und erotisierten Akte von Malern wie Boucher, Fragonard oder Ingres, sondern seine weiblichen Figuren nehmen eine betont herausfordernde Haltung ein. Selbstbewusst erwidern die Frauen die Blicke der Betrachterinnen und Betrachter oder ignorieren diese gänzlich. In der Regel präsentiert Füssli seine Frauen als Einzelfiguren, die geradezu unnahbar auftreten. In Gruppen versammelt, können ihre Aktivitäten geheimnisvoll wirken; in erotischen Szenen wiederum scheinen die Frauen stets die Kontrolle zu wahren.
Zeichnungen für wen?
Eines der grössten Rätsel, das diese Zeichnungen umgibt, betrifft die Identität ihres ursprünglichen Publikums und ob Füssli die Arbeiten überhaupt jemals jemandem gezeigt hat. Die Indizien deuten darauf hin, dass sie zu seinen Lebzeiten nur von wenigen Künstlerkollegen sowie von einem erlesenen Kreis klassisch gebildeter Männer rezipiert wurden. Dass sich Füssli mit diesen Blättern nie an ein grosses Publikum gerichtet hat, erscheint nur allzu nachvollziehbar, sind seine zutiefst ambivalenten Darstellungen von ermächtigter Weiblichkeit doch alles andere als unproblematisch. Für das heutige Publikum indes erweisen sie sich von grösster Relevanz, jetzt, wo sich die Gesellschaft verstärkt mit der komplexen Beziehung von Kunst, Macht und Genderfragen auseinandersetzt.
Leihgaben aus England, Kanada und Neuseeland
Die Ausstellung «Füssli. Mode – Fetisch – Fantasie», in Zürich kuratiert von Dr. Jonas Beyer, entstand in enger Zusammenarbeit mit The Courtauld, London. Die Zusammenarbeit ermöglichte es dem Kunsthaus, Leihgaben aus verschiedensten Ländern – neben England auch aus Kanada und Neuseeland – zusammenzutragen. In solch konzentrierter Form wird diese faszinierende Facette des in England zu Ruhm gelangten Schweizers kaum ein weiteres Mal zu sehen sein. Dem Publikum eröffnet sich damit die einmalige Gelegenheit, neben dem «offiziellen» Füssli, dessen Gemälde in der Sammlung des Kunsthauses ab dem Frühjahr wieder dauerhaft gezeigt werden, diese sehr private, zeichnerische Seite des «Wild Swiss» kennenzulernen. (Quelle: Kunsthaus Zürich)
INFO: 24.2. bis 21.5.2023, Kunsthaus Zürich, Heimplatz, Zürich. Öffnungszeiten: Fr–So/Di 10–18 Uhr, Mi/Do 10–20 Uhr.