FUSSBALL: Wiedereinmal ist die Aufregung groß. Weltmeisterschaft in Katar, in einem autokratischen Staat, mit Wertvorstellungen, die sich mit unseren nur wenig decken. Menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse, wenig Frauenrechte, Verfolgung von Schwulen, wenig Freiheit. Das alles ist richtig.
Wir sollten aber auch im Blick haben, dass Frauen die arbeiten wollten, in der BRD bis 1977 die Erlaubnis des Ehemanns brauchten. Schwule Männer wurden bei uns noch bis 1969 wegen Unzucht mit Zuchthaus bestraft. Bei Sexualität „wider die Natur“ drohte den Ertappten bis ins 18. Jahrhundert der Tod auf dem Scheiterhaufen. Zu so einer Vorgeschichte passt eine dogmatische Erzieherrolle gegenüber Katar u.a. Staaten, wie sie viele einnehmen, nur schlecht.
Wie zuletzt bei der Olympiade in China gibt es nun wieder das gewohnte „Bashing“, dieses tägliche Schlechtreden des Gastgeberlands, in nahezu allen Medien. Dazu hatten die eifrigen Spätkritiker zwölf Jahre Zeit. Denn schon am 2. Dezember 2010 wurde im FIFA-Hauptquartier in Zürich entschieden, dass die WM 2018 in Russland und 2022 in Katar stattfinden wird. Aber in dieser Phase haben sich die nationalen Fußballverbände und die Presse zurückgehalten, denn die Bauunternehmen Züblin, Hochtief u.a. Akteure sollten erst mal ungestört ihre Bauaufträge und Geschäfte abwickeln und Profite einfahren.
Nun ist es für einen Boykott zu spät. Und ob man die Spiele anschaut oder nicht, ist völlig egal, denn sie finden ja statt! Armselig ist es, wenn man nun das Sportereignis mit Bildern überlagert, die den Fans jegliche Freude an den Spielen nehmen. Und dass Kapitän Manuel Neuer nach dem massiven Druck der Fifa nicht mit der One-Love-Binde, die für Vielfalt, Toleranz und Gleichberechtigung steht, aufgelaufen ist, steht für Feigheit und persönliche Vorteilsnahme. Er und die Mannschaft haben sich, um nicht sanktioniert zu werden, der FIFA unterworfen, welche die Binde als verbotene politische Botschaft wertet. Zu der Vorgeschichte und den Hintergründen dieses düsteren Fussballkapitels hat YouTuber Rezo wieder einmal eine hervorragende Doku geliefert, die es hier gibt:
Eine Chance das System zu ändern ist öffentlicher Druck. Ein Anfang kann eine Petition von Chris Paouros auf change.org (weltweit größte Petitionsplattform für gesellschaftliche Veränderung) sein. Hier kann jeder mitentscheiden wie es mit der FIFA weitergehen soll. Chris Paouros ist stellvertretender Vorsitzender von Kick It Out, einer englischen Wohltätigkeitsorganisation, die sich gegen Diskriminierung im Fußball einsetzt und versucht, den Fußball zu einem Spiel zu machen, zu dem alle gehören. Die FIFA ist für ihn eine realitätsfremde, gescheiterte Institution, die nicht in der Lage ist, den Weltfußball zu regieren. Seit Jahrzehnten wird die FIFA von Skandalen geplagt - es gab Vorwürfe von Korruption, Erpressung, Bestechung, Verstößen gegen ethische Grundsätze, Ticketbetrug und Missmanagement bei Fällen von sexuellem Missbrauch.
Vor und während der Weltmeisterschaft in Katar gab es eindeutige Beispiele dafür, dass die FIFA ihren Aufgaben nicht gewachsen ist. Der Bau der Stadien für dieses Turnier hat Tausenden von stark unterbezahlten Arbeitern das Leben gekostet und Verletzungen verursacht, die ihre Familien zerstören. Die Rechte der Frauen sind eingeschränkt und die LGBTQ+-Gemeinschaft wird kriminalisiert. Die FIFA und ihre Partner sind mitverantwortlich für diese Entwicklungen.
Paouros ist überzeugt, dass Fußballfans viel Macht haben, wenn sie sich zusammenschließen und Veränderungen fordern. „Schließen Sie sich uns jetzt an und sagen Sie, dass die FIFA die dringende Notwendigkeit einer Überarbeitung akzeptieren muss - oder abgeschafft wird.“ so sein Schlusssatz.