Das Theater Harrys Depot hatte am 2. Juli mit Oscar Wildes Komödie „Ein idealer Gatte“ Premiere. Das Stück, das 1895 Premiere hatte, gilt als die politischste unter Wildes Gesellschaftskomödien.
Der Erfolg der Komödie war triumphal, aber schon wenige Monate nach der Uraufführung wurde Wildes zum „Volksfeind“ erklärt, mit Rede- und Schreibverbot belegt und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Zum Verhängnis wurde ihm die Veröffentlichung all dessen, was heimlich im viktorianischen England praktiziert und routinemäßig toleriert wurde. Und diese hintergründigen, immer noch aktuellen Geschichten, in denen es um Insidergeschäfte, Finanzmanipulationen, Politik und Moral, Erpressung und die Macht der Presse, Liebe und Vertrauen geht, hat Regisseurin Barbara Zimmermann in einer unterhaltsamen und erhellenden Weise auf die Open Air Bühne in der idyllischen Spechtpassage gebracht.
Dunkles Geheimnis hinter glatter Fassade
Die Londoner Gesellschaft trifft sich im Hause des hochangesehene Parlamentariers Sir Robert Chiltren (Jakob Stöckeler - sehr wandlungsfähig, zunächst etwas arrogant, vornehm und stolz, später reumütiger Politiker u. Gatte), der wegen seines makellosen Charakters von seiner Frau Gertrud als „idealer Gatte“ verehrt wird. Noch ahnt die schöne Lady Chiltren (würdevoll, charmant, kämpferisch verkörpert von Perrine Martin), selbst eine Säule der Moral und der Frauenbewegung, nichts von dem einzigen dunklen Fleck in seinem Leben. Nach anfänglichem Smalltalk der Gäste, der Einblicke in die britische, saturierte und dekadente upper class bietet, nimmt die Inszenierung zunehmend Fahrt auf, um immer mehr zum spannenden Theatervergnügen zu werden.
Zum Ärger der Hausherrin erscheint auch Mrs. Laura Cheveley (von Alexandra J. Nesici mit ausladenden Gesten und lauter Stimme im figurbetonten feuerroten Abendkleid temperamentvoll verkörpert), eine Frau mit „Vergangenheit“, die ihre Reize und Skrupellosigkeit einzusetzen weiß. Sie kennt das Geheimnis von Sir Roberts Vermögen, das er gemacht hat, indem er einem Börsenspekulanten Insiderwissen aus dem Regierungskabinett teuer verkaufte. Nun erpresst sie ihn mit diesem Geheimnis, um seine Fürsprache für ein Kanal-Projekt zu gewinnen, in das sie viel Geld investiert hat. Nach vielen Verwicklungen und witzigen Wendungen gelingt es jedoch Roberts engstem Freund, dem oberflächlich scheinenden Dandy Lord Arthur (Alter Ego Wildes?) die listige Erpresserin auszutricksen. Jannik Sulger als Sir Arthur Goring ist grandios besetzt. Er ist so etwas wie ein Paradiesvogel auf der Party der Lords und Ladys. Seine Erscheinung im Rüschenhemd und bunt gestreifter Hose ist extravagant und kapriziös. (Kostüme: Katja Weeke) Die Ermahnungen und Ratschläge seines 70 jährigen Vaters Lord Caversham (glaubhaft und grandios würdevoll dargestellt von Melchior E. Meyer) schlägt er in den Wind. Jedoch, dass er einen moralischen inneren Kompass hat, beweist er in seiner Eigenschaft als Freund von Robert und Gertrud, da agiert er klug und moralisch. Sebastian Götz zeigt ein sehr unaufgeregtes Spiel als Mr. Markby. Als Diener Phipps läuft er jedoch durch seine Gestik und Mimik zur Hochform auf.
Am Schluss bleibt ein Abend in Erinnerung, voll spritziger Dialoge, brillantem Witz und turbulenter Handlung um zeitlose Themen wie Politik und Moral, Erpressung und die Macht der Presse, Liebe und Vertrauen.
Auch die Ehe der Chilterns scheitert nicht an der Beichte des reuigen Sünders. Denn Lord Goring kann die Erpresserin mittels eines Armbands, das sie einst entwendet hatte, unschädlich machen. Und Sir Robert kann es kaum fassen: Seine untadelige und geläuterte Gattin verzeiht ihm. „Es ist Liebe, Robert. Liebe und nichts als Liebe. Für uns beide fängt ein neues Leben an.“
Begeisterter Premieren Applaus. Der Regisseurin Barbara Zimmermann und ihrem jungen und spielfreudigen Ensemble ist wieder einmal ein amüsant-unterhaltsamer Sommertheaterabend mit viel Sprachwitz und Tiefgang in der lauschigen Spechtpassage gelungen.
Günter Lorenz
Ebnet-Premiere: Sa 10./ w.T. Fr 16.- So 18./ Fr 23. - So 25.09.22., Freiburg-Ebnet, Schlosspark, Zehntscheune, jew. 19 Uhr. Karten: Tel. 01577-9709269 oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Lord Arthur Goring
Von Wilde gibt es einen erstaunlichen Essay „The Soul of Man Under Socialism“, der als eine Art Bibel des Anarchismus galt. Gedanken aus diesem politischen Essay sind in die Figur des Lord Arthur Goring eingeflossen, jenes Menschen im Stück, der sich weigert, das Karrierespiel mitzuspielen, der als ehrgeizloser Außenseiter nur darauf bedacht ist, seinem Vergnügen zu leben und in seinem unmittelbaren Umkreis Schaden von seinen Freunden abzuwenden. Er vertritt eine individualistische, situative Ethik, die keinem kategorischen Imperativ und keiner Ideologie gehorcht. Im Grunde ist Lord Goring eine utopische Figur, (…) die nur für die Dauer des Theaterstücks auftaucht, um an die Möglichkeit der Selbstbestimmung zu erinnern. (Quelle: Rainer Kohlmayer, www.theatertexte.de)